Chronik der Familie Haeger (Auszüge) - Kriegsende und Vertreibung
Es brach 1939 der Krieg aus, und ich wurde am 26. August 1939, damals
noch in Mandelatz, mit Lehrer Behling
als erster Soldat, bis es November '39 hieß "ältere Jahrgänge
aus der Landwirtschaft" sollten entlassen werden. Diesen Krieg verloren
wir, und ich war einige Jahre in Zarnefanz, es war der 6. oder 7. März
1945, als die Russen und Polen mich verschleppten, auf Umwegen nach Schinz
- Köslin - Schivelbein - Labes bis zum Todesmarsch von Sophienhof
(von Bismarck, Schloß Plathe gehörig), nach Kellerhaft, unsäglichen
Strapazen und Hungern nach Landsberg a. d. Warthe, wo ich schwere Wassersucht
bekam und nach drei Wochen Krankenhaus drei Wochen lang 300 km nach Hause
gehen durfte, wo ich Frau und Kinder noch gesund vorfand. Es war dies Mitte
Juni '45. Auf meinem Bauernhof war schon ein Pole! Vieh, Pferde usw. waren
vom Feind erbeutet und die Wirtschaft leer. Ich ging gebrochen an Leib
und Seele zu Hause am Stock herum, bis wir Oktober 1945 vom Hof vertrieben
wurden und in Mandelatz Schutz suchten. Meine Schwägerin Ella nahm
uns gerne auf, und wir karrten die ca. zwölf Kilometer von Zarnefanz
nach Mandelatz mit der Karre, wo wir unsere letzte Habe drauf hatten, und
auf der der kleine Werner, vier Jahre alt, ab und zu - besonders wenn Martha
karrte - drauf saß. Todmüde kamen wir des Abends an, und in
Mandelatz war noch ziemlich Ruhe. Die Wirtschaft war auch recht leer, und
zwei Russen hatten das Gutshaus übernommen, in dem noch vier heimatvertriebene
Familien aus Ostpreußen und Stettin wohnten. Bemerken möchte
ich noch, daß wir in Zarnefanz zuletzt nur noch eine Stube bewohnen
durften, und am Abend vor dem Rauswerfen erst mal richtig ausgeplündert
wurden, und ich selbst eine Tracht Prügel bezog, da ich einige Sachen
heimlich beiseite geschafft hatte, die gefunden wurden.
Verschleppt wurde mit mir zusammen Inspektor Fritz Ratzmann, Major
Hell und Müllermeister Müller. Frau Hell hatte inzwischen Gift
genommen, sowie auch die Mutter von Hell.
In Mandelatz mußten wir dann arbeiten, bis ich von Februar bis
Juni 1946 nochmals mit schwerer Krätze zur Arbeit mit 19 Männern
und Frauen nach Meseritz-Obrawalde bei Landsberg a. d. W. zum zweiten Mal
verschleppt wurde. Nach endlicher Rückkehr im Juni '46 fand ich Frau
und Kinder beim Kartoffelpflanzen doch noch in Mandelatz vor, während
Ella,
Emma und Kummrow (Inspektor) das Feld geräumt hatten. Charlotte ging,
da es zu gefährlich war, schon Oktober '45 allein raus. Sie war unterwegs
vollkommen ausgeplündert worden und hatte sich nach vieler Mühe
zu ihrem Bruder Siegfried in Holstein eingefunden, der hier als Soldat
entlassen war und später als Gemeindeförster in Bohmstedt bei
Husum 2 ½ Jahre Dienst tat. Charlotte ist heute geprüfte Schwester
im Städtischen Krankenhaus in Husum. Auch die Mutter von beiden, Frau
Ella Haeger, fand sich nach einer ganzen Zeit in Bohmstedt ein, nachdem
sie von den Russen und ostpreußischen, heimatvertriebenen Frauen,
die bei ihr in Mandelatz wohnten, fast alle Tage zur Arbeit angehalten
wurde, bis sie schließlich die Heimat verlassen mußte.
Wir selbst blieben noch bis Juni '46 in Mandelatz und konnten dann auch
gehen. Es wäre auch zwecklos gewesen zu bleiben, da wir selbst nichts
mehr zu essen hatten und von den Russen nicht mal trocken Brot für
unsere Arbeit erhielten. Außerdem konnte man das Zerstören und
Verwüsten der Heimat auf Dauer nicht ertragen. Und so hatten wir mit
dem Wirtschafter Schmökel, Mandelatz B., der auch zur selben Stunde
die Heimat verlassen mußte, vereinbart, daß er unsere Sachen,
unsere letzte Habe, ab Dubberow mit Fuhrwerk durch Polen nach Belgard,
und Schwiegermutter und meine beiden Jungens, Konrad und Werner, mitnahm.
Wir fuhren dann nach einigen Stunden zum Lager Schivelbein/Pommern,
und von dort nach acht Tagen unter größten Strapazen in Viehwagen
per Bahn nach Stettin, um am nächsten Tage die Reise über Pasewalk
- Bad Kleinen - Grevesmühlen - Lübeck bis Heide fortzusetzen,
wo wir entladen wurden. Meine Schwiegermutter ist hier in Süderdeich
an der mangelhaften Ernährung am 21. November 1946 verstorben. Auch
zerrte an ihren Nerven, daß sie die Heimat verlassen mußte.
Sie war am 22. April 1874 zu Groß Dubberow geboren. Ebenso ist es
ihrer ältesten Tochter Anna Beilfuß, die erst 1947 aus Pustchow,
Krs. Belgard vertrieben wurde, ergangen.
Sie ist in Sachsen, in der russischen Zone, den Hungertod gestorben und
in Vlichteritz, Krs. Weißenfels a. d. Saale beerdigt. Sie verstarb
am 6. Juni 1948 und war geboren am 20. Januar 1899 in Zarnefanz, Krs. Belgard/Pommern.
Sie war verehelicht mit Bauer Paul Beilfuß, Pustchow, Krs. Belgard,
der lungenkrank am 3. April 1943 verstarb. Er war geboren am 27.03.1897
in Pustchow, Krs. Belgard, aus dessen Ehe zwei Kinder, Hildegard und Werner
waren. Eine verstärkte Krankheit hatte er sich im Polenfeldzug zugezogen,
an deren Folgen er verstarb.
Wir kamen dann nach ca. drei Tagen in Segeberg an und wurden nach einigen
Tagen bis Heide/Holstein befördert, von wo wir aufs Land nach Süderdeich
transportiert wurden. Bemerken möchte ich, daß wir das Pech
hatten, ab Stettin in Kalk- und Zementwagen zu reisen, und so alle vollkommen
weiß aussahen. Das war der letzte Haß der Polen gegen die Deutschen;
ebenso verkauften die Polen die für uns bestimmte Verpflegung unterwegs,
und wir hatten seit einem Tag kein Brot mehr, trotzdem wir drei oder vier
Brote aus Stettin mitgenommen hatten.
In Süderdeich hatten wir das Pech, in einer Baracke zu wohnen,
wochenlang schwer zu hungern und ohne Bettstellen auf Stroh zu schlafen,
bis wir schließlich eine Holzbettstelle bekamen. Was haben wir hier
für schwere hunger- und sorgenvolle Jahre hinter uns, und öfter
gingen wir aufs Land zu den Bauern, um um Lebensmittel zu betteln, und
an mancher Tür klopften wir vergeblich. In erster Linie war es der
Bauer Martin Wollatz hier, wo wir in der Ernte helfen durften und dafür
Mittagessen, Milch und Geld erhielten, und freudig gingen wir des Morgens
immer wieder zu ihm. Nur fehlte uns zur Arbeit die Kleidung, und nach Jahren
schafften wir einiges, aber nur das Notdürftigste, an. Wir waren oft
dem Verzweifeln nahe, während die hiesige Bevölkerung, besonders
die Bauern, oft Feste feierten. Und bis heute, 5. Mai 1950, sind wir, die
wir aus dem Osten des Reiches stammen, die Alleinigen, die den verlorenen
Krieg bezahlen, während sich andere bereichert haben.
Nach einem Jahr bekamen wir dann eine bessere Stube, wo wir heute noch
wohnen (Süderdeich, Haus Nr. 1, Besitzer Paul Ehlers, Heringsand).
Inzwischen sind einigermaßen geregelte Verhältnisse in die Westzonen
eingekehrt, und nach der Währungsreform (10:1) sind bessere Ernährungsbedingungen
geschaffen worden. Aber die Preise sind für alles zwei- bis dreimal
so hoch wie vor 1939/45, so daß wir nur das Notwendigste an Lebensmitteln,
wie auch an Kleidung, kaufen können, während für die Landwirtschaft
ab '45 eine goldene Zeit war, wo der Zentner Roggen oder Weizen bis 700
RM kostete, und der Bauer hier in Holstein hierfür fast alle Leute
für Monate hindurch bezahlen konnte. Der Städter, sowie auch
der Nichtsbesitzende, besonders die Heimatvertriebenen, hungerten schwer.
Man mag an diese Zeit nicht zurückdenken, wo der Schieber ein Bombengeschäft
machte.
Ich erhielt für vier Personen damals (1946-49) 86 RM Familienunterhalt
und später 96 RM bzw. DM monatlich, und oft haben wir in der Landwirtschaft
gearbeitet, um zusätzlich Lebensmittel zu bekommen. Wie oft boten
wir uns da zur Arbeit an. An Menschen war sonst alles arbeitslos.
Ende
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